
In Kolumbien tobt die Gewalt durch bewaffnete Gruppen trotz Friedensabkommen weiter. Doch die indigene Bewegung des Cauca ist zu einer wichtigen Kraft der Veränderung geworden (siehe Infokasten unten). Mit dem Programa Mujer will Roseli Finscue Chavaco die Frauen der Bewegung stärken.
Interview: Eliseth Peña / Herbst 2020
an.schläge: Was haben die Frauen innerhalb und durch die indigene Bewegung erreicht?
Roseli Finscue Chavaco: Vor zwanzig Jahren gab es kein Programa Mujer und kein Bewusstsein dafür. Zumindest ist jetzt unter den neun Mitgliedern des obersten Rates des CRIC eine Frau. Und immer mehr Menschen stellen die Frage, warum es nur eine Frau ist.
Auch die Räume für Beteiligung in der Selbstverwaltung haben sich verändert. Die Strukturen stammten aus dem Kolonialismus und wurden von Männern geprägt. Das Prinzip war: Nur verheiratete Männer dürfen sich einbringen. Heute gibt es Bemühungen, dass Frauen mehr Ämter übernehmen. Es gibt bereits Gouverneurinnen der Selbstverwaltungsgebiete. Auch wenn es noch wenige sind, symbolisch ist es sehr wichtig, dass wir Frauen nun in verschiedenen Räumen der Bewegung aktiv sind.
Eine weitere wichtige Errungenschaft ist, dass nun öffentlich über Gewalt gegen Frauen gesprochen wird.
Welche Rollen nehmen Frauen in der Selbstverwaltung ein?
Wie anderswo auch wird die mütterliche Rolle häufig reproduziert. Obwohl wir Amtsträgerinnen sind, weisen uns unsere männlichen Kollegen ganz selbstverständlich die Küche, die Organisation der Versorgung, die Sekretärinnen-Rolle zu – all das, was Dienstleistung für andere ist. Wenn wir uns nicht damit auseinandersetzen, wird diese Aufteilung von Care-Arbeit einfach weitergeführt.
Es geht auch nicht darum, diese Aufgaben aus Prinzip nicht zu machen. Das Problem ist, dass die Wertschätzung der Arbeit viel größer ist, wenn ein Mann sie erledigt.
Die Veränderung der traditionellen Rollen hat für die Frauen wirtschaftlich, familiär und gesellschaftlich einen hohen Preis. Um ihr Amt auszuüben, mussten viele Gouverneurinnen, Gemeinderätinnen und Frauen in der Guardia Indigena ihre Familie aufgeben.
Was fehlt in der Bewegung noch im Hinblick auf die Situationen von Frauen?
Teilhabe und Anerkennung sind noch uneingelöste Versprechen der Bewegung. Damit einher geht die reale Umverteilung von Macht sowohl wirtschaftlich, politisch als auch kulturell. Niemand wird heute sagen, dass Frauen nicht das Recht haben oder nicht fähig zu etwas sind – dennoch lassen sie uns nicht.
Es muss auch viel mehr gegen die Gewalt gegen Frauen getan werden. Die Akten der Selbstverwaltung sind voll von Anklagen. Eine weiteres Problem ist der Zugang zu Land. Achtzig Prozent der Indigenen im Cauca leben von der Landwirtschaft. Aber die meisten Frauen besitzen selbst kein Land.
Und es braucht mehr politische Bildung für Frauen und Männer. Sie muss vermitteln, dass Veränderungen nur auf Augenhöhe möglich sind. Die indigene Weltsicht ist da eindeutig: Macht muss kollektiv und gemeinschaftlich ausgeübt werden.
Was bedeutet der Mord an einer Führungspersönlichkeit wie Cristina Bautista Taquinas (siehe Info-Kasten unten) für die indigenen Frauen des Cauca?
Das war wie ein Massenmord. Cristina symbolisierte für uns einen riesigen Erfolg und ebenso einen unendlichen Verlust. Mit ihr war für uns Hoffnung verbunden. Der Mord hatte immense emotionale Auswirkungen auf alle Amtsträgerinnen.
Damit sie Rätin in der Selbstverwaltung wurde, haben wir viel mit ihr, ihrer Familie und ihrer Gemeinde gearbeitet. Und dann verlierst du alles in Sekunden. Wir waren sehr verzweifelt und haben den Sinn unsere Arbeit in Frage gestellt.
Cristina erhält jetzt viel Anerkennung. Doch die Leistungen vieler anderer Frauen finden weiterhin keine Beachtung. Das aber bräuchte es für wirkliche Veränderungen.

Welche Erfahrungen machen indigene Frauen im Kontext des bewaffneten Konfliktes und der Drogenwirtschaft?
Leider arbeiten viele Frauen in der Drogenwirtschaft. Es ist für sie leichter möglich, dort Geld zu verdienen. Hier ein Auskommen zu haben, bedeutet jedoch nicht, dass sich ihre Situation grundsätzlich ändert.
An den Frauen in der Drogenwirtschaft zeigt sich die symbolische Geschlechtergewalt des Konfliktes. Es wird Kontrolle über ihre Körper ausgeübt. Denn die Frauen arbeiten dort, aber sie haben keine Macht. Sie machen die Drecksarbeit etwa als Kuriere oder Testerin. Ihre Körper werden ausgenutzt.
Wegen der Auswirkungen des bewaffneten Konflikts und der Drogenwirtschaft auf uns indigene Frauen, fordern wir die materielle und auch die mentale Entmilitarisierung unserer Gebiete, die Stärkung unserer Organisation und unserer Wirtschaft.
Was macht das Frauen-Programm, um den Problemen der indigenen Frauen im Cauca zu begegnen?
Das Programm ist klein und wir können alleine nicht allen Bedürfnissen gerecht werden. Wir meinen aber auch, dass wir nicht alleine dafür verantwortlich sind. Es geht schließlich um strukturelle Probleme.
Zum Beispiel ist die Gewalt gegen Frauen oft verbunden mit wirtschaftlicher Abhängigkeit. Die Gewalt hört nicht auf, wenn wir die Frauen emotional begleiten, sondern ihnen muss Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen, vor allem zu Land, gegeben werden.
Daher versuchen wir, die Anliegen der Frauen als Querschnittthemen in den anderen Programmen des CRIC einzubringen und in der ganzen Bewegung den Gender-Fokus zu verankern. Und wir machen Druck auf staatliche Stellen. Sie sind dafür verantwortlich, Rechte sicherzustellen und zu handeln.
Außerdem führen wir in den Gemeinden Bildungsprozesse mit den Frauen durch. Auch mit den Männern machen wir Seminare, um ihnen bewusst zu machen, was ihnen abhandengekommen ist – etwa ihre Gefühle ausdrücken zu können, Freude an Kindererziehung oder am Kochen zu empfinden.
Eliseth Peña ist indigene Medienfachfrau und Journalistin aus Popayán, Cauca.
Übersetzung: Martin Mäusezahl
Dieses Interview wurde zu erst in der Zeitschrift an.schläge Nr. 6/2020 veröffentlicht.
Programa Mujer, Indigene Bewegung und bewaffneter Konflikt im Cauca
Roseli Finscue Chavaco ist eine der drei Koordinatorinnen des Programa Mujer, des Frauen-Programms innerhalb des Consejo Regional Indigena del Cauca (Indigenen Regionalrats des Cauca, CRIC). Der CRIC ist die Dachorganisation der indigenen Bewegung im kolumbianischen Departamento Cauca. Kern der Bewegung sind die 94 indigene Selbstverwaltungsgebiete, deren Autonomierechte sie in jahrzehntelangen Kämpfen erstritt. In den Gebieten organisieren rund 264.000 Menschen ihre Verwaltung, sowie Teile ihrer Bildung, Gesundheitsversorgung und Wirtschaft nach eigenen Vorstellungen. Das Land ist unveräußerlicher Kollektivbesitz.
Die indigenen Gemeinden des Cauca lebten jahrzehntelang inmitten des Konflikts zwischen Guerrillas, Paramilitärs und Staat. Seit dem Friedensschluss 2016 hat sich der Konflikt transformiert und ist heute vor allem mit der Drogenwirtschaft verbunden. Verschiedenen bewaffneten Gruppen kämpfen untereinander um Gebietskontrolle und gegen die Selbstverwaltung. Dutzende indigene Amtsträger*innen wurden ermordet. Eines der prominentesten Opfer ist Cristina Bautista Taquinas, Ratsmitglied im Selbstverwaltungsgebiet von Tacueyó, die am 29.10.2019 zusammen mit vier Mitgliedern der unbewaffneten Selbstverteidigungseinheiten Guardia Indigena von einer bewaffneten Gruppe angegriffen und erschossen wurde.
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