Friedensprozess mit großen Schwierigkeiten

von Hans Weber / Januar 2019
Der Euphorie, mit der die Öffentlichkeit die historische Unterzeichnung des Friedensvertrags zwischen der Regierung Santos und der FARC-Guerilla Ende 2016 nach vierjährigen Verhandlungen feierte, ist schon wieder verflogen. Nicht nur weil die Gewalt nicht verschwunden ist, sondern weil sie sich deutlich verschärft hat. Mit Schrecken erleben gerade Basis-Aktivist*innen, wie sie massiv zum militärischen Ziel paramilitärischer Banden erklärt werden. Oppositionelle vermuten teilweise Geheimdienststrukturen dahinter. Zwischen Ende 2016 und August 2018 sind 350 Vertreter*innen von sozialen Bewegungen ermordet worden, praktisch doppelt so viele wie in den zwei vorherigen Jahren zusammen. Die Armeen der Drogenhändler, die sich mit den lokalen Militäreinheiten absprechen oder zumindest von ihnen geduldet werden, sind in ehemalige Zonen der FARC vorgedrungen. In einigen Regionen ähneln sie einer Besatzungsarmee, der die lokale Bevölkerung völlig ausgeliefert ist. Massaker, die eine Zeit lang als Teil der paramilitärischen Vergangenheit galten, sind wieder trauriger Alltag. Polizei und Militär attackieren weiterhin Basis-Aktivist*innen mit großer Härte. So kam es beispielsweise 2017 zu einem Massaker an sieben Kokabauern im südlichen Departement Nariño. In einigen Städten hat die Gewalt extreme Formen angenommen, etwa in Gestalt der sogenannten „Hackhäuser“ (Casas de Pique), wo paramilitärische Drogenbanden Menschen zerstückeln.
Die Friedensverhandlungen in Havanna haben also zur Entwaffnung der FARC-Guerilla geführt, aber keinen soliden Ansatz für den Frieden gebracht. Dies liegt nicht nur an der holprigen Umsetzung des Friedensvertrags beziehungsweise an den vielen Modifizierungen, die den Vertrag nach der Unterzeichnung abgeschwächt haben. Es liegt auch daran, dass der Friedensprozess nicht dafür konzipiert war, die alten Probleme, die zur politischen und sozialen Gewalt geführt hatten, an der Wurzel zu packen. Eines davon ist die hohe Landkonzentration, die Landlose und Kleinbäuer*innen seit über einem Jahrhundert immer weiter in die Armut treibt und viele von ihnen in den letzten Jahrzehnten zum Überleben in den Koka-Anbau gezwungen hat. Gleichzeitig verfügen Drogenkartelle, Agrarindustrielle, Bergbau- und Erdölfirmen sowie Großgrundbesitzer*innen über immer mehr Ländereien, die zum Teil die Paramilitärs durch Massenvertreibungen gewaltsam geräumt hatten. Aktuell weist Kolumbien die höchste Landkonzentration Lateinamerikas auf: Einem Prozent der Landbesitze gehören 81 Prozent des bebaubaren Landes. Im Friedensvertrag bleibt dieser Großgrundbesitz jedoch unangetastet. Stattdessen verspricht der Staat, Brachland an Kleinbauern zu zuteilen und mit Besitzurkunden zu formalisieren. Dabei geht es insgesamt um etwa acht Prozent der Landoberfläche (10 Mio. Hektar). Doch nicht einmal diese Vereinbarung wird umgesetzt. Außerdem boxte die Regierung Santos (2010-2018) das sogenannte Zidres-Gesetz durch, das den Großunternehmen die Anhäufung von Staatsländereien ermöglicht, die vorher nur Landlosen oder Kleinbauern zugeteilt werden durften.
Auch die Militärpolitik ist für die Gewalt in Kolumbien mitverantwortlich. Die Sicherheitskräfte behandeln Menschen, die ein Problem für die politische Führung und die Wirtschaftseliten darstellen, als Staatsfeinde. Demzufolge ist es für das Militär seit mindestens 50 Jahren gängige Praxis, sie direkt oder mittels paramilitärischer Strukturen zu attackieren. Der systematische Charakter dieses Problems ist allerdings kein Thema im Friedensvertrag. Die Verbindungen zwischen Militär und Paramilitärs werden als Folgen einzelner Absprachen auf individueller Ebene behandelt.
Die Regierung hatte bei den Friedensverhandlungen von Anfang an festgelegt, dass Wirtschaftsmodell und Militärdoktrin nicht zur Debatte stehen. In Anbetracht von Ex-Präsident Santos‘ intensivem Werbefeldzug in verschiedenen Wirtschaftsforen für Kolumbien als Investitionsstandort, scheint es der Regierung Santos beim Friedensprozess grundsätzlich darum gegangen zu sein, das Land zu befrieden, um Stabilität und Sicherheit für große Geschäfte zu schaffen beziehungsweise die durch die FARC gesperrten Gebiete für Investoren zu erschließen.
Eine Errungenschaft der Friedensverhandlungen ist das Übergangsjustizsystem (Jurisdicción especial para la Paz, JEP), das der Kongress allerdings nachträglich geschwächt hat. Die Legislative hat zivile Akteure wie Politiker und Unternehmer, die Paramilitärs unterstützten, von der Pflicht befreit, sich vor der JEP zu erklären. Verpflichtet sind nur Angehörige der FARC und der Sicherheitskräfte.
Zahlen und bewaffnete Akteure des Konflikts
Die Zahlen des Krieges zeigen sein Ausmaß und seine Brutalität. 80 Prozent der 262.000 Toten des bewaffneten Konflikts waren Zivilisten. Die Zahl der Verschwundenen ist höher als die der argentinischen Diktatur und die Zahl der Vertriebenen ist die höchste weltweit. Obwohl die Paramilitärs drei Mal so viele Zivilisten getötet haben wie die Guerilla, ist in Kolumbien die Vorstellung vorherrschend, dass die Rebellen die größte Verantwortung für die Gewalt in Kolumbien tragen. Diese Wahrnehmung haben die Medien im Laufe der Jahre aufgebaut. Dabei geht es vor allem um die FARC und das noch aktive ELN. Anfang der 1990er Jahre hatten sich die anderen Guerillas entwaffnet.
Die FARC entstand in den 1960er Jahren als Teil der Bauernbewegung, die sich bewaffnet gegen die Gewalt der Großgrundbesitzer verteidigte. Im Rahmen eines Friedensdialogs schuf sie in den 1980ern die linke Partei Unión Patriótica (UP). Nachdem circa 4.000 UP-Angehörige ermordet wurden, militarisierte sich die FARC in den 1990ern noch stärker und stieg dabei immer tiefer in die Kette von Drogenproduktion und -handel ein. Sie wuchs nun zu einer mächtigen Armee, die massiv Zivilisten entführte und den Sicherheitskräften harte Schläge versetzte. Geschwächt durch das Militär unter dem ultrarechten Álvaro Uribe und angespornt von den Wahlsiegen der linken Regierungen in Südamerika, ging die FARC schließlich auf einen Friedensdialog mit der Regierung Santos ein.
Die ELN-Guerilla entstand ebenfalls in den 1960er Jahren, verbunden mit der Bauern- und Studentenbewegung. Der Aufbau lokaler sozialer Macht und die Sabotage des Erdölexports sind seit den 1980ern zentrale Richtlinien des ELN. Diese Guerilla beteiligte sich zwar nicht am Drogenhandel, doch Teil ihrer sozialen Basis sind Kokabauern. In einigen ehemaligen Zonen der FARC soll sie jetzt auch präsent sein. Der holprige Friedensdialog zwischen ELN und der Regierung Santos startete offiziell im Jahr 2017. Ob die neue Regierung von Iván Duque ihn fortsetzen wird, ist noch offen.

Foto: Tefita228 – Creative-Commons-Lizenz
Die Paramilitärs werden in Kolumbien meistens als dritter, vom Staat unabhängiger Akteur betrachtet. Doch die Bildung und Unterstützung paramilitärischer Gruppen oder die Kooperation mit ihnen ist seit den 1960er Jahren Staatspolitik und phasenweise in der Gesetzgebung verankert gewesen. Die Beziehungen zwischen Staat und Paramilitärs sind komplex und nicht immer gleichermaßen eng gewesen; allerdings haben sie ermöglicht, dass Oppositionelle, Gemeindeführer*innen, Menschenrechtler*innen, Gewerkschafter*innen und andere umgebracht werden konnten und der Staat keinerlei politische Kosten zu tragen hatte. Eine demonstrative Grausamkeit war typisch für die Paramilitärs: Ganze Dörfer mussten in den 1990er und Nuller Jahren mit ansehen, wie die „Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens“ (AUC) öffentlich folterten und mit den Köpfen der Opfer Fußball spielten. Die AUC gaben im Jahr 2006 offiziell die Waffen ab. Ihre Erben sind die aktuellen paramilitärischen Banden.
Rechte Regierung und stärkere Mitte-Links Opposition
Iván Duque, Vertreter der ultrarechten neoliberalen Partei Centro Democrático (CD), wurde mit 10,2 Mio. Stimmen nicht zuletzt dank der Popularität seines Mentors, Ex-Präsident Álvaro Uribe (2002-2010), zum neuen Präsidenten gewählt. Die Beliebtheit Uribes hält seit langem an, trotz zahlreicher Hinweise auf seine Verstrickungen mit dem Paramilitarismus. Dazu zählt die Verwicklung in zwei Massaker in den 1990ern. Unter seiner Regierung hat der Inlandsgeheimdienst DAS seine Gegner illegal bespitzelt und verfolgt, Sicherheitskräfte ermordeten 10.000 Zivilisten und präsentierten sie als getötete Guerilla-Kämpfer. Auch wenn Duque moderater als sein Mentor auftritt, befürchten Oppositionelle eine Rückkehr zu Uribes Amtszeiten. Repressivere Gesetze gegen sozialen Protest oder eine Politik der harten Hand gegen den kleinbäuerlichen Koka-Anbau und Drogenkonsument*innen sind jedenfalls Ankündigungen der Regierung Duques, die autoritäre Züge aufweisen. In der Wirtschaftspolitik sieht Duque vor, das Großkapital weniger zu besteuern, obwohl Kolumbien das Land ist, das in Sachen Ungleichheit weltweit auf Platz zwei steht.
Dass Duques Kontrahent, der linke Politiker Gustavo Petro, mit 8 Millionen Stimmen der meistgewählte Stichwahlverlierer und der meistgewählte linksgerichtete Kandidat in der Geschichte Kolumbiens war, zeigt jedoch die große Ablehnung, auf die das ultrarechte Projekt der CD in Kolumbien stößt. Die Korruptionsskandale der traditionellen Parteien und die rabiaten Attacken auf den Frieden von Seiten der CD hatten in wichtigen Teilen der Wählerschaft Empörung hervorgerufen und sie zu den progressiven und linken Parteien gebracht, die nun stärker im Kongress vertreten sind. Auch gelang es Petro mit seiner Wahlkampagne des Colombia Humana („Menschliches Kolumbien“), die Debatte über das Sozial- und Wirtschaftsmodell in die Leitmedien zu bringen und unpolitische Wähler*innen zu politisieren.
Fest steht, dass Duque nicht auf die enorme Unterstützung der Bevölkerung zählen kann, die Uribe zu seiner Amtszeit genoss. Andererseits könnte die rapide Zunahme der Morde an Basisaktivist*innen – aktuell ein Mord pro Tag – das Engagement für die Demokratisierung des Landes wieder hemmen.
Dieser Artikel ist Teil der Broschüre „Land, Kultur und Autonomie – Die indigene Bewegung des Cauca (Kolumbien)“, die im Januar 2019 von zwischenzeit e.V. veröffentlicht wurde.
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