Cerro Berlín: Symbol für indigene Autonomie

„Das nennen sie empörend (weinender Soldat) und das nennen sie Demokratie (verletzter Indigener)“ – Foto: Knut Henkel

von Knut Henkel / Januar 2019

Cerro Berlín heißt der Berg im Norden des Cauca. Für die Nasa ist er heilig, für das kolumbianische Militär von strategischer Bedeutung, weshalb sich auf dem Gipfel ein kleiner Militärposten mit weit reichenden Funkantennen befindet. Dagegen haben indigene Organisationen immer wieder protestiert – bis sie im Juli 2012 den heiligen Berg kurzerhand demilitarisierten. Friedlich, aber nachdrücklich.

Das Transparent mit den Fotos des weinenden Soldaten und das mit dem jungen Nasa, dem das Sondereinsatzkommando der Polizei (ESMAD) das Gesicht zerschlagen hatte, hing lange über dem Eingang zur CRIC-Zentrale (siehe Foto). Die befindet sich am Rande der Stadt Popayán, der Hauptstadt des Bundesstaates Cauca und wird täglich gut besucht.

Jesús Javier Chávez Yondapiz war im Juli 2012 Mitglied des obersten Rates des CRIC. Er weiß noch genau, wie es zu dem Bild des weinenden Soldaten kam, das in Kolumbien durch die Medien und die sozialen Netzwerke geisterte: „Das Foto entstand bei der Räumung des Cerro Berlín. Der Soldat, Sargento Rodrigo García, war fassungslos, dass wir ernst machten und den illegal errichteten Militärposten tatsächlich räumten. Damit setzten wir ein Zeichen gegen die Militarisierung in und um Toribío und gegen die Gefechte, unter denen die Zivilbevölkerung litt“.

Zahlreiche Gebäude in Toribío waren damals durch eine Autobombe der FARC-Guerilla beschädigt worden, die eigentlich der Polizeistation gelten sollte. Die war zur Festung ausgebaut und mit unzähligen Sandsäcken geschützt, und mit Beton ausgegossene Ölfässer, um Angriffe zu erschweren. Viele Häuser in der Nähe der Polizei-Station wurden zerstört, oft blieb nicht mehr als das Skelett der Gebäude. Die Gefechte zwischen der FARC in den Bergen und der Armee im Tal hörten einfach nicht auf.

Symbolische Aktion gegen die Militarisierung Toribíos

Als wieder einmal eine gute Handvoll Zivilisten durch eine plumpe Gaszylinder-Bombe der FARC am 8. Juli verletzt worden war, fiel die Entscheidung zu handeln. „Zuvor hatten wir Armee und FARC-Guerilla mehrfach ultimativ aufgefordert, die Gemeinde Toribío zu verlassen und ihren Krieg woanders zu führen. Die Opfer des 8. Juli brachten das Fass zum Überlaufen. So wurden wir am 17. Juli aktiv“, erinnert sich Jesús Javier Chávez Yondapiz. Die Räumung des Cerro Berlín galt als eines der beiden Ziele. Nicht nur, weil dieser Berg den Nasa heilig ist, sondern auch, weil er von der Armee entgegen den Bestimmungen der Verfassung von 1991, nämlich ohne Einwilligung der indigenen Minderheit, besetzt worden war. Obendrein war der Militärposten ein Symbol für die Militarisierung der gesamten Region. Das zweite Ziel, die Räumung eines FARC-Lagers, fiel in der Berichterstattung in Kolumbien weitgehend unter den Tisch. Das Ziel der parallel verlaufenden Räumungen von Stützpunkten der beiden damals in der Region aktiven bewaffneten Akteure: Ein Zeichen zu setzen gegen die zunehmende Militarisierung.

Dafür mobilisierte der CRIC unter den Mitgliedern der Guardia Indígena. Die Resonanz war enorm. „Zwischen 2000 und 5000 Freiwillige der Guardia waren bei den beiden Räumungen im Einsatz“, schätzt Feliciano Valencia, der an der Aktion auf dem Cerro Berlín teilnahm. „Wir wollten unserem Appell, die Zivilgesellschaft zu respektieren, Nachdruck verleihen. Dass wir einen heiligen Ort von einem Militärposten befreiten, war zusätzliche Motivation“, so Feliciano Valencia. Die rund 100 Soldaten des „8. Bataillon Alta Montaña“ waren machtlos gegen die entschlossen agierende Guardia Indígena, die binnen weniger Stunden nicht nur die 100 Soldaten ins Tal trug, sondern auch den kompletten Stützpunkt auf dem heiligen Berg demontierte.

In der medialen Berichterstattung wurde die Demilitarisierung des heiligen Berges der Nasa allerdings als „indigene Aggression“ dargestellt, die „den Sargento García weinen ließ“, so schrieb es die größte Tageszeitung des Landes „El Tiempo“. Der damalige Verteidigungsminister Juan Manuel Santos sprach von einem „Angriff auf die Soldaten“ und ging auf die Forderung nach Entmilitarisierung der Stadt Toribío erst gar nicht ein. Die Militärs fühlten ihre Autorität untergraben, was zu weiteren Konflikten mit der Guardia Indígena führte, wobei es im Juli und August 2012 zu massiven Übergriffen der Sicherheitskräfte kam. Dafür steht das zweite Bild auf dem Transparent, das lange über dem Eingang der CRIC-Zentrale in Popayán hing, das den jungen Nasa mit zerschlagenem Gesicht zeigt.

Typische Gegensätze in Kolumbien, wo die Sicherheitskräfte immer wieder brutal gegen die pazifistisch agierenden Aktivist*innen des CRIC vorgehen. Mit der Räumung des Cerro Berlín habe sich trotzdem etwas geändert, so Feliciano Valencia. Bei den Wahlen im März 2018 wurde er zum Senator der „Alternativen Indigenen und sozialen Bewegung“ (MAIS) gewählt. „Seitdem verhandeln wir direkt mit Vertretern der Nationalregierung. Da sind keine Regionalregierungen mehr zwischengeschaltet und wir treffen uns auf Augenhöhe“, erklärt Valencia. Im Oktober 2012 gehörte er gemeinsam mit Jesús Javier Chávez Yondapiz der CRIC-Delegation an, die sich an der indigenen Universität (UAIIN) in Popayán mit der Regierungsdelegation traf. Das ist einer der positiven Effekte dieser bis heute spektakulärsten Aktion des CRIC. Die Aktion habe aber auch gezeigt, welche Mobilisierungskapazität der CRIC besitze. Und sie habe den inneren Zusammenhalt gestärkt. Deshalb ist der Cerro Berlín für Feliciano Valencia gleich in mehrfacher Hinsicht ein Symbol für indigene Selbstbestimmung.


Dieser Artikel ist Teil der Broschüre „Land, Kultur und Autonomie – Die indigene Bewegung des Cauca (Kolumbien)“, die im Januar 2019 von zwischenzeit e.V. veröffentlicht wurde.


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