
von Jochen Schüller / Januar 2019
Kolumbien ist ein wunderschönes Land zwischen tropischen Amazonas-Tiefebenen und schneebedeckten Andengipfeln, touristischer Karibik- und unberührter Pazifikküste. Multikulturell und multiethnisch mit einer kleinen Schicht weißer, europäisch-stämmiger Bevölkerung und einer großen Mehrheit von Mestiz*innen („Mischlinge“ aus Weißen und Indigenen ), der afrokolumbianischer Bevölkerung (Nachfahren der ehemaligen Sklav*innen ca. 10,6%) sowie den Indigenen (Ureinwohner*innen ca. 3,4 %). Die 102 indigenen pueblos („Völker“) sprechen 65 verschiedene Sprachen.
Laut Zensus von November 2018 hat das Land gut 45,5 Millionen Einwohner*innen, also ca. die Hälfte von Deutschland, ist aber dreimal so groß. Die meisten Menschen leben in urbanen Räumen, alleine im Großraum Bogotá 11 Millionen, nur rund 25 % leben auf dem Land.
Das Land ist sehr fruchtbar und birgt viele Bodenschätze. Nach dem Friedensschluss mit der linken FARC-Guerilla sind sie nun besser zugänglich, die Regierung setzt auf Rohstoffexport als Motor für die Wirtschaft. Trotz Friedensprozess ist die Gesellschaft weiterhin sozial und politisch tief gespalten zwischen Arm und Reich, links und rechts.
In den letzten Jahrzehnten haben sich Agrarkonzerne, Großgrundbesitzer*innen und rechten Paramilitärs fast 10 Millionen Hektar Land gewaltsam angeeignet, eine Fläche mehr als dreimal so groß wie Belgien. Die kleinbäuerliche Bevölkerung haben sie einfach vertrieben. Mit rund 7,7 Millionen Binnenflüchtlingen ist Kolumbien weltweit trauriger Spitzenreiter. Dazu tragen auch Rohstoff- und Bergbau-Konzerne bei, für die über fünf Millionen Hektar Land tituliert sind.
Zudem fördert die Regierung die Agrar-Konzerne und Monokulturen wie Ölpalmen, Bananen und Soja für den Export statt Lebensmittelproduktion durch Kleinbäuer*innen. Seit einigen Jahren muss Kolumbien daher Lebensmittel einführen, um seine Bevölkerung zu ernähren.
Die angebliche Demobilisierung von 32.000 rechten paramilitärischen Söldnern (2006) war eine Farce: Die illegalen „Paras“ terrorisieren weiterhin die Bevölkerung, verfolgen und ermorden Oppositionelle, in den letzten Jahren unter den Namen „Aguilas Negras“ (Schwarze Adler), Rastrojos u.a. Sie sind eng mit dem Drogenhandel liiert und werden von Sicherheitsbehörden meist ignoriert oder gedeckt und arbeiten mit ihnen bisweilen zusammen. Der Großteil der Verbrechen wird nicht verfolgt und bleibt straflos.
Doch Kolumbien hat auch eine erstarkte Opposition und breite soziale Bewegungen, die sich für soziale Gerechtigkeit und Teilhabe oder eine gesunde Umwelt einsetzen: Gewerkschaften, Student*innen- und Frauen- sowie der Umwelt- und Friedensbewegung und Campesinos/as (Kleinbäuer*innen) und Afros und Indigene.
Die indigenen Organisationen haben in den letzten Jahren insbesondere im Cauca, im Südwesten Kolumbiens, eine starke Dynamik und Protest- und Widerstandformen entwickelt. Dabei berufen sie sich auf ihre eigenen Traditionen und Werte, die stark ihre Gemeinschaft sowie das Zusammenleben mit der Natur und Umwelt betonen und setzen so dem kapitalistischen Wachstumsmodell ein eigenes nachhaltiges, soziales Gesellschaftsmodell entgegen. Diese manchmal utopisch erscheinenden Vorstellungen finden jedoch weit über die indigene Bevölkerung hinaus Zuspruch und haben mobilisierenden Charakter für andere gesellschaftliche Gruppen. Das gilt auch für die basisdemokratische Selbstorganisierung der Indigenen im Cauca und z.B. für ihren Selbstschutz, die Guardia Indígena, die die Gemeinschaft und das Territorium z.B. vor Paramilitärs und Drogenmafia oder illegalem Bergbau schützen soll. So haben manche afrokolumbianischen Gemeinschaften eine Guardia Cimarrona und kleinbäuerliche Gemeinschaften eine Guardia Campesina gegründet.
Unter der neuen Regierung des Rechtspopulisten Iván Duque wird es vermehrt zu Repression gegen Opposition und soziale Bewegungen kommen, um die neoliberale Politik und das brachiale Wachstumsmodell durchzusetzen. Gesellschaftliche Gegenmodelle werden es daher noch schwerer haben, jedoch gleichzeitig als Beispiel und Hoffnungsträger umso wichtiger sein.
Jochen Schüller – Journalist, Projektmanager und Aktivist – arbeitet seit 2002 zu Kolumbien.
Dieser Artikel ist Teil der Broschüre „Land, Kultur und Autonomie – Die indigene Bewegung des Cauca (Kolumbien)“, die im Januar 2019 von zwischenzeit e.V. veröffentlicht wurde.
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